Mein Großvater war zeitlebens ein wenig leidend. Meistens handelte es sich um Magenprobleme, weshalb er fast alle Praxen der Stadt "getestet" hat. Nach langer Zeit schien es, als hätte er endlich einen Spezialisten für seine Probleme gefunden. Opa erkor diesen zu seinem absoluten Vertrauensarzt. "Dr. Richardt hat gesagt, Dr. Richardt meint, Dr. Richardt hat vorgeschlagen", sagte er immer, wenn er bei uns zu Besuch war. Ohne diese magischen Worte über den "Wunderdoc" gab es keine Unterhaltung. Einmal wurde er mindestens erwähnt. Für uns war es ganz klar: Opa hatte sich ein zweites Zuhause in der Praxis von Dr. Richardt eingerichtet. Jahrzehntelang war dieser dann auch für die Gebrechen meines Großvaters zuständig. 👴
Bis auf jenen unvergesslichen Tag. Opa war bei meinen Eltern zum Kaffeetrinken. Natürlich wurde er von seinem Sohn, meinem Vater, nach seinen Magenproblemen gefragt. Opa winkte ab und zog eine Grimasse. "Nanu?" mein Vater wurde stutzig. "Ist was passiert ... schlimm?" "Nein, nein, nichts Besonderes; aber zu dem gehe ich nicht mehr!" äußerte Opa deutlich mit einer Miene, die nichts Gutes verhieß. "Wie kommt`s ?" schaltete sich meine Mutter ein. "Nun ja", Opa druckste ein wenig herum. "Der hat mich so dermaßen behandelt ...", meinte er mit bitterbösem Gesichtsausdruck "obwohl ich es nur gut gemeint habe ..." 😠
Meine Eltern wurden neugierig und hakten nach. Opa, schon immer medizinisch orientiert, hatte sich angewöhnt, vor jedem Arztbesuch ausführlich über seine (möglichen) Leiden zu lesen und eine "Vorabdiagnose" zu stellen. Als Patient weiß man ja nie, wen man vor sich hat und ist dem "Mann in weiß" hilflos ausgeliefert. Eigens dafür hatte er sich in enorme Kosten gestürzt und einen Fachwälzer zugelegt. Sein Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Schließlich erleichterte man dem Arzt die Diagnose, ließ man sein Wissen mit einfließen. Umso zügiger konnte der Arzt auch hohe Patientenaufkommen abarbeiten. "Wahrscheinlich habe ich eine Gastritis, habe ich Doktor Richardt gesagt. ... Das war gar nicht gut. Kaum hatte ich meine Vermutung ausgesprochen, schleuderte er mir entgegen: "Dieses Wort möchte ich aus Ihrem Mund nicht mehr hören!". Der Doktor war verärgert. Was für eine undankbare Person. Statt sich bei meinem Großvater für sein Interesse und seine "Mitarbeit" zu bedanken, kanzelte er ihn derart ab.
Wie das Drama letztendlich ausging, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich weiß nur, dass mein Großvater den denkwürdigen Arztbesuch bei bester Gesundheit überlebt hat. Bei unseren nächsten Beisammensein hat Opa den Doc nie wieder erwähnt. "Da meint man(n) es gut und will den Doktor nur unterstützen und dann so was", mein Großvater schüttelte den Kopf und winkte mit verächtlicher Geste ab. Damit war das Thema Dr. Richardt ein für alle Male für ihn erledigt.
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