"Mama, hattest Du Schäden oder ist "der Kelch an Dir vorüber gegangen ?" wollte ich wissen. Gestern war ein heftiger Orkan durch unser Gebiet gefegt und hatte laut Lokalsender eine mittlere Schneise der Verwüstung hinterlassen. "Nina, ja ich habe einen leichten Dachschaden", lachte sie in den Hörer. "Zwei Pfannen hatten sich gelöst, sonst ist zum Glück nichts passiert. Auch nicht an den Nachbarhäusern, soviel ich gesehen habe", fügte sie hinzu. "Alles wieder im Lot. Noch gestern, am späten Nachmittag war Herr Deckers da und hat den Schaden repariert." "Das freut mich echt für Dich Mama", meinte ich erleichtert. "War auch kein großartiges Problem, zumal er sehr kompentente und fachliche Hilfe hatte", erklärte sie mir. "Wie jetzt, wegen zwei Pfannen braucht ein erfahrener Dachdeckermeister doch keine Unterstützung". Ich war irritiert. "Nina, ich muss Dich berichtigen, Du verkennst die Situation", kam es mit fester Stimme aus dem Hörer. "Na, dann klär mich mal auf", forderte ich meine alte Dame auf.
"Kaum war Herr Deckers eingetrudelt und aufs Dach geklettert, kam auch schon seine Aisstenz." Ganz allmählich dämmerte es bei mir. "In Form von Kowalsky". "Aha". Der wunderliche Nachbar meiner Mutter. Er zog in dem winzigen Garten mitten in einer reinen Wohnsiedlung eine Hühnerfarm auf und begann, sich als Eigenversorger zu betätigen. Kowalsky baute eine Gemüsezucht auf, legte Salatbeete an und begann zu räuchern. Ein Schwein schien er jedoch noch nicht geschlachtet zu haben. Davon hätte mir meine alte Dame längst berichtet. Bedrohlich zogen weiße Rauchschwaden über das Wohngebiet hinweg und versetzten die gesamte Nachbarschaft in Angst und Schrecken.
"Wie aus dem Nichts stand er da. Ungerührt und direkt vor meinem Küchenfenster. Dick eingemummt mit Jacke und Schal und breitbeinig, seine stinkende Zigarre im Mundwinkel. Und nahm Herrn Deckers Arbeit ab. Zwischendurch lief er mit ganz langsamen Schritten meinen Vorgarten auf und ab. Dabei blieb er vor dem Bulli von Herrn Deckers stehen und inspizierte in aller Seelenruhe den offenen Kofferraum des Firmenwagens. "Vermutlich ist die Tätigkeit mit den zwei Pfannen überaus interessant", mutmaßte ich. Meine Mutter lachte. "Du weißt doch Mama, Leute gibt`s ...". Ich rollte mit den Augen. "Es war kalt. Sicher musste er sich die Beine vertreten. Sieh`es mal so: er wollte Dir nur helfen, indem er begutachtete, ob der Handwerker seine Sache auch richtig machte". "Du hast Ideen, Kind" tönte es mir aus dem Hörer entgegen. "Sollte so etwas nochmal passieren, hätte ich eine Idee", sagte ich zu meiner alten Dame, als mir unvermittelt eine Idee kam. "Ich bin "ganz Ohr"", erwiderte diese grinsend.
"Ein Aufenthalt im Freien ist doch bei dieser Wetterlage ziemlich ungemütlich. Nächstes Mal bietest Du ihm eine Thermokanne mit heißem Kaffee an und" ein akuter Anfall von Albernheit unterbrach meine Ausführungen "hast Du nicht noch die Klappstühlchen und den alten Campingtisch von unseren Wochenendtrips an die Nordsee? Eine alte Decke wäre auch nicht schlecht. Das stellst Du ihm dann auf den Bürgersteig, damit er wenigstens bequem und gut durchwärmt zuschauen kann, wenn er schon so nett ist, und freiwillig ein Auge auf Deine Handwerker hat ..." Minutenlanges Gelächter unterbrach unsere Verbindung.
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