"Hallo Elsbett ttt ... das ist ja eine Überraschung !" flötete eine Stimme laut an mein Ohr. Intuitiv guckte ich zur Seite. Ups, hoffentlich ließ ihr schwerer Rucksack die hagere Trägerin nicht zu Boden stürzen. Ich hatte massive Bedenken. Die spindeldürre, lange Frau mit den eisgrauen, aalglatten Strähnen war ein extremes Leichtgewicht. Die helle Jeans schlotterte nur so um ihre Beine. Sie hätte besser zu einer kleineren Größe gegriffen. Obwohl, dann konnte sie Schwierigkeiten mit der Länge haben ... Von der Optik her vermutete ich sie eher auf einer Trecking-Tour als in unserer noblen Altstadt. Ihre Füße steckten in groben Wanderstiefeln und ihre verblichene Anorak-Jacke schien in die Jahre gekommen. Ein breites, selbstgestricktes (?) Stirnband in knalligem Orange hielt die grauen Strähnen im Zaum. Sie beugte sich zu ihrer Gesprächspartnerin, einen Kopf kleiner, spontan hinunter und herzte diese zwischen Fußspray und Inkontinenz-Einlagen. "Oh, Marga. Wie schön. Du, ich freue mich !" erwiderte Frau Elsbeth und blickte zur Bohnenstange hoch. Diese trat einen Schritt zurück und betrachtete ihr Gegenüber mit wohlwollendem Blick. "Hast Du abgenommen ? Wir haben uns ja so lange nicht mehr gesehen !" Von der Seite musterte ich die Kleinere der beiden. Sie straffte ihre Schultern und kicherte wie ein junges Mädchen. Leicht verlegen zupften ihre rosa Fingernägel an einer Strähne der sorgsam ondulierten Dauerwelle. Als plaudere sie ein Geheimnis aus, sprach sie etwas leiser: "Ich habe mein Leben komplett umgekrempelt !" Marga schien beeindruckt: "recht so !" Ich stand direkt neben den beiden Frauen und wollte nur rasch ein paar Seidenstrümpfe erstehen. Wenn ich Derartiges brauchte, steuerte ich als erstes die gut sortierte Drogerie in unserer Altstadt an.
Unfreiwillig, aber durchaus interessiert verfolgte ich die Unterhaltung beider Frauen, schätzungweise in den Siebzigern. Einmal mehr hatte ich die Qual der Wahl und drehte beide Packungen unschlüssig in den Händen. "Das reicht bestimmt für das nächste halbe Jahr. Sag mal ..." sie stutzte für den Moment: "Elsbett, geht`s Dir nicht gut ?" Erschrocken zeigte sie auf das prall gefüllte Einkaufskörbchen ihrer Gesprächspartnerin. Automatisch warf auch ich einen Blick auf die Einkäufe von Frau Elsbeth. Der Drahtkorb war bis zum Rand gefüllt mit zig Teesorten. Tee zur Beruhigung, Schlaf-Tee, Tee gegen Nierenprobleme, Abführtee, Kamillentee, Tee gegen Herzbeschwerden ... überflog ich den Groß-Einkauf. "oder Deinem Heinz ?" Elsbeth lachte: "nein, nein, reine Vorsichtsmaßnahme". Frau Elsbeth machte einen frischen, gepflegten Eindruck. Vermutlich trug sie Kleidergröße 38 bei einer Größe von ca. 1.70. Jacke und Hose waren sorgfältig aufeinander abgestimmt. Chice Schuhe rundeten den Gesamteindruck positiv ab. Selten gab es in dem Alter Frauen, die noch so modische Schuhe trugen. Die meisten Frauen ab einem gewissen Alter hatten einen Hang zu Bequemschuhen mit Gummikeilsohle ...
"Wir nehmen das "Zeug" zur reinen Vorsorge ein", grinste Elsbeth. "Wie, so viel auf einmal ?" Frau Marga schien besorgt. "Ich habe eine einfache, aber sehr hilfreiche Methode gefunden", erklärte Elsbeth. Endlich hatte ich mich entschieden und packte die Strümpfe entschlossen in den Korb. Doch ich zögerte leicht. Zum Gang an die Kasse konnte ich mich nicht - noch nicht - entschließen. Gern wollte ich von der Methode Elsbeths erfahren. Vielleicht konnte ich noch etwas dazu lernen. "Wir machen eine Kur - zu Hause. Jeden Abend trinken wir einen großen Becher Gesundheitstee". "und wechselt jeden Tag zwischen Kamillen und Beruhigungs und und und -tee ab ?" wollte Marga wissen und grinste. "Ach iwo, viel einfacher", sie winkte lässig ab: "Ich brühe uns Wasser auf und hänge von jeder Tee-Sorte einen Beutel hinein und schon ist der Gesundheitscocktail fertig", erklärte Elsbeth strahlend. Es schien, als platze sie fast vor Stolz ob ihrer fulminanten Idee. Von so einem Rezept hatte ich bisher noch nie gehört. Spontan wandte ich mich ab, um nicht aus zu platzen. 😂
"Marga, hast Du noch nie vom "all-in-one"-Prinzip gehört ?" Frau Marga war sichtlich irritiert und verneinte. "das habe ich von meinen Enkeln gelernt", erklärte sie der verdutzten Gesprächspartnerin. Marga schüttelte ihre eisgrauen Strähnen. Hoffentlich hielt das Stirnband ... "ob das gut ist", zweifelte sie. "na klar, mach Dir keine Gedanken und probiere es ruhig mal aus", schlug Elsbeth vor. "außerdem geht das alles viel schneller", fügte sie noch grinsend hinzu. "und in Nullkommanichts bist Du topfit ... und bleibst es auch !" Frau Elsbeth war äußerst überzeugt von ihrer speziellen Methode. Die magere Marga verzog das Gesicht zu einer leichten Grimasse. Ob sie das Rezept letztendlich probiert hat, entzieht sich (leider) meiner Kenntnis.
Auf meinem Heimweg wanderten meine Gedanken unwillkürlich zu Gatte Heinz. Ob er die spezielle Behandlung seiner Frau gut überstand ? Sollte ich in nächster Zeit eine Anzeige vom Ableben eines Heinz im fortgeschrittenen Alter lesen, würde ich endgültig wissen: Die Therapie Elsbetts war nicht optimal verlaufen ...
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