"Jetzt bin ich gemütlich", grinste Bettina, nachdem sie sich aufatmend auf der gepolsterten Eckbank niedergelassen hatte. Ich setzte mich gegenüber und betrachtete den neu gestalteten Raum des Café Klingel in unserer Altstadt. Meine Blicke schweiften von Wanddekorationen über Bilder bis hin zu den pastell farbenen Seidengestecken, die in großen weißen Keramik-Vasen arrangiert waren und die verschiedenen Sitzecken ein wenig voneinander abgrenzten. "Na, alles zu Deiner Zufriedenheit ?" unkte Bettina, die mich beobachtet hatte. "Ja, ich bin zufrieden", erwiderte ich lachend, ohne den Blick vom Nachbartisch abzuwenden. Die ältere Dame direkt neben uns schaute angestrengt durch ihre an goldenen Kettchen hängende Brille, die sie auf die äußerste Nasenspitze geschoben hatte. Eifrig schrieb sie in ein kleines Büchlein auf ihrem Schoß. Der kleine Tisch vor ihr bog sich fast vor Speisen und Getränken. Auch meine Freundin hatte es bemerkt und signalisierte mir ein Schulternzucken. Die hellgraue, marmorne Tischplatte ließ sich nur erahnen. Für ein äußerst ausgewogenes Frühstück stand alles parat. Ein Kännchen Kaffee, ein Glas Tee, ein Körbchen mit Hörnchen und Brötchen, Marmelade und Butter, nicht zu vergessen ein weißer Porzellanteller mit Krabbenrührei. Während unseres Aufenthaltes griff die Dame weder zu einem Getränk noch aß sie etwas von dem reichhaltigen Angebot. Sie war tief in ihre Aufzeichnungen versunken. "Die Getränke werden doch kalt", raunte ich Bettina leise zu. Sie nickte nur. Der Gedanke an schalen, kalten Kaffee ließ mich erschauern. Die merkwürdige Situation beschäftigte mich. Als wir ankamen, saß die Dame bereits vor ihrem üppig beladenen Tisch. Leider erschloss sich uns nicht, wie lange sie schon dort verweilte. Zum Glück war das Klima annehmbar, so daß sich die Hartkäsescheiben nicht verdächtig verbogen und die Qualität der Speisen nicht unter der mörderischen Hitze litt. Inzwischen "hatten wir fertig" und Bettina hielt nach der Serviererin Ausschau.
Ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt; denn jetzt kam Bewegung auf. Ich bedeutete ihr ein "Sitzenbleiben". "Gut, ich gehe dann mal in die Keramik", erklärte sie grinsend. "Lass` Dir ruhig Zeit", zwinkerte ich ihr zu. Eine jüngere Frau steuerte auf den Nachbartisch zu. Die ältere Dame legte ihr Heftchen neben sich. Sie erhob sich, umarmte und herzte die Jüngere mit Wangenküsschen rechts und links über den Tisch hinweg. Ich hatte erheblich Bedenken, dass sie sich in den großzügigen Stoffbahnen des Oberteils der Jüngeren verfing und das reichhaltige Frühstücksangebot enorm ins Wanken brachte ...
Ein einziger Blick und mein natürlicher Wissensdurst wurde gestillt. Endlich. Die Jüngere war die Tochter und schien enorm ausgehungert. Kaum saß sie, fiel sie über das Frühstück und die erkalteten Getränke her. Wie gut, dass sie kleidungstechnisch vorgesorgt hatte: sie trug eine Art Kaftan, mindestens Größe 52. Da ging noch was ...
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