"Probier mal, sind die nicht köstlich ?" Der Gatte schob mir den Teller mit den kleinen, leuchtend roten Kugeln hin. "Lecker, nicht ?" Ich konnte ihm nur beipflichten. 🍅
Der Kollege des Gatten trug erheblich zu unserer Unstimmigkeit bei. Gänzlich unbeabsichtigt. Seit kurzem war er stolzer Besitzer eines Schrebergartens und vom Ehrgeiz besessen, Bio-Obst und Gemüse für den eigenen Bedarf selbst anzubauen. In letzter Zeit brachte Frederic diversen "Probier-Schälchen" mit. Dankbar probierten wir Zucchini, Himbeeren und Tomaten. Eines Abends saßen wir zusammen beim Essen in unserer Mini-Küche, als er unvermittelt aufsprang und mich stürmisch umarmte. Fast verschluckte er sich dabei an einer Mini-Frikadelle. "Was ist los ?" Ich war perplex. "Du magst doch auch Tomaten liebend gern ?" "Sicher, weißt Du doch". Anhand der Art der Fragestellung war ich mir sicher, dass er eine bestimmte Absicht verfolgte. Lange musste ich nicht warten. "Was hältst Du von einer eigenen Zucht, Tomaten-Zucht ? Ich weiß auch schon wo". Er sprang auf und lotste mich zum Balkon. "Der perfekte Standort", schwärmte er mit einer alles-umfassenden-Geste: "Hier haben sie Sonne satt !" "Maximal könnten wir hier ... und Tomaten sind pflegeleicht ... weiß ich vom Kollegen", vor Eifer überschlug er sich fast.
Zu unserer Wohnung gehörte ein sehr langer, aber schmaler Balkon. "Hier passen mindestens ..." Frederiks kleine grauen Zellen arbeiteten angestrengt, dabei kratzte er sich am Kopf. Ich musste mir ein Lachen verkneifen. "vier Stauden hin. Und unsere Sitzgruppe bauen wir dazwischen, dann sind wir auch etwas abgeschirmt. Ob Tomatenstauden oder Palmen ist letztendlich doch egal", resümierte er ernsthaft. "Und Sommerblumen?" warf ich ein. "Schatz, Blumen schön und gut, die machen aber noch mehr Arbeit als Tomaten, wenn ich nur das Zupfen von trockenen Geranien-Blüten oder Abknipsen der welken Margeriten denke. Und das ständige Gießen. Wenn der Sommer ziemlich heiß wird, sind sie schnell hin und wir müssen "nachlegen". Wenn Du möchtest, darfst Du Dir gern zwischendurch den einen oder anderen Blumen-Strauß erlauben", gönnerhaft puckerte der Gatte meinen Oberarm. "Tomaten aus eigenem Anbau - hmmm - unvergleichlich", genießerisch fuhr er sich über die Lippen. Gegen diese Argumentation war ich momentan machtlos. In Nullkommanichts mutierten wir zu Selbstversorgern.
Der gesamte Balkon leuchtete wie eine einzige rote Oase. Da unser Balkon zwar lang, aber ziemlich schmal war, wurde die Fläche in der Mitte zum Laufen durch die wuchernden Stauden immer enger. Mit Mühe hatten wir einen Tisch und zwei Stühlchen inmitten der Tomaten-Plantage aufgestellt. Die Tomätchen zum Nachreifen dienten als Dekoration auf der marmornen Fensterbank im Wohnzimmer. Frederiks Zucht nahm ungeahnte Ausmaße an. Allmähllich wurde sie mir einfach zu viel: Im Geiste ersann ich Abhilfe. Ich ließ meine Phantasie spielen und servierte brav Tomaten-Gerichte, jeden Tag, sieben Tage die Woche. Allein wegen der gesunden Inhaltsstoffe. Tomatenpizza, Tomatenauflauf, Tomatengemüse, Gemüseeintopf mit Tomaten, Tomaten-Salat und Tomaten-Fisch. Just fällt mir noch dazu ein: Tomatenpüree für Nudelgerichte. Eines Freitags, nach dem x-ten Tomaten-Essen, räusperte sich der Gatte. Gespannt sah ich ihn an. "Sag mal, könntest Du ... nun ja ..." Mein Mann, der für alles und jedes stets eine Antwort aus dem Ärmel schüttelte, klang verlegen. Das ich das noch erleben durfte ... Er druckste ein wenig herum: "mal etwas Anderes kochen ?" Er atmete tief durch, seine Bitte schien ihm ein wenig peinlich. Jetzt stellte ich mich stur. Mein Lieber, da musst Du durch, sagte ich mir stumm und schenkte dem Gatten ein strahlendes Lächeln. "Erst müssen wir die Tomaten aufessen. Es wäre doch jammerschade um das wertvolle, gesunde Gemüse, landete es im Müll". Ob meiner schlüssigen Argumentation konnte er nicht wechseln und sah in den nächsten Wochen im wahrsten Sinne "rot" ... 🍅🍅🍅
P.S.: Auf Tomaten als Dessert habe ich verzichtet (obwohl ich meine grandiose Idee gern am Gatten erprobt hätte: die Tomaten a la Obst statt mit Sahne mit einer Komposition aus selbstgerührter Mayo zu verzieren, um ihm eine ganz spezielle Gaumenfreude zu bieten ... aber auf die Spitze wollte ich es nicht treiben ... 😅
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