Heute sollte es soweit sein. Das Mega-Ereignis des Herbstes stand kurz bevor. Seit Tagen wurden wir von unserem Lokalsender, sogar mehrmals täglich, vor dem bevorstehenden Supergau gewarnt. Ein heftiger Sturm sollte zu einem gigantischen Orkan mutieren und durch unser Örtchen fegen. Kritisch betrachtete ich den Horizont. Meine Blicke schweiften über die Tannen vom Garten gegenüber. Sachte schwangen feine Zweige im aufkommenden Wind hin und her. In weiser Voraussicht hatte ich in den vergangenen Tagen größere Keramikgefäße und Amphoren mit Metern von Plastikfolie umwickelt und festgezurrt, damit sie sich nicht in unberechenbare Geschosse verwandelten. Empfindliche Kleinteile brachte ich im Schoppen in Sicherheit.
Ich saß am Laptop und schaute skeptisch in das bizarre Wolkenwirrwarr am Horizont. Die weißen Wattebäusche ballten sich zu üppigen Gebilden zusammen und nahmen ein bedrohliches Dunkelgrau an. Mit atemberaubender Schnelligkeit zogen sie an meinen Blicken vorüber. In der Vorhersage wurden sogar die genaue Zeit und die Spitzengeschwindigkeiten des Orkans angeben. Automatisch verglich ich die momentane Uhrzeit mit dem angekündigten Großwetter-Ereignis. Die stattlichen, meterhohen Tannen aus Nachbars Garten legten sich bedrohlich schief. "Das kann ja heiter werden", murmelte ich vor mich hin.
Plötzlich drang ein Brummen an meine Ohren, inmitten des tosenden Sturms. Ich sprang auf und lief alle Fenster im Erdgeschoß ab, in der Hoffnung, etwas Näheres sehen zu können. Denn ich verabscheue nichts mehr als "Halbheiten": Ich meine das reine Hören ohne zu sehen, wer wo was wann (mit wem) oder warum betreibt ... Es ist keine Neugier, nur reines Interesse, was in der Nähe vor sich geht ... Schließlich sollte "frau" immer gut informiert sein ! Ich wetzte nach oben, um besser sehen zu können. Doch auch der Blick durch das Flurfenster und das große Badezimmer-Fenster: Fehlanzeige !!! ... Mein besorgter Blick galt dem Dach, das heißt den Pfannen. "Bloss kein Dachschaden", mechanisch tippte ich mir an den Kopf und musste unwillkürlich lachen. Flehentlich schickte ich meine Bitte um Schadensabwendung nach ganz oben.
Endlich wurde ich fündig. Im ehemaligen Kinder-Zimmer meiner Tochter hatte ich den totalen Überblick. Das wurde auch langsam Zeit ... Ich traute meinen Augen kaum. Wie angewurzelt starrte ich auf den Garten nebenan: meine geschätzte Nachbarin zur Linken, Frau Sonntag, stand mitten auf ihrer großen Rasenfläche und kämpfte mit den Wetterunbilden. Mit leuchtend roten Gummistiefeln, einem poppig gemusterten Anorak und einem bunten Schal, nach Piraten-Manier vor das Gesicht gebunden, bildete sie einen Farbtupfer im tristen Grau der Natur. Ein Gebilde aus blauem Jeansstoff hatte sie fest auf den Kopf gepresst. Mit einer Hand dirigierte sie den Rasenmäher, während sie mit der anderen mit der breiten Krempe kämpfte, die ihr immer wieder ins Gesicht flatterte und die Sicht erheblich einschränkte. Ob sie überhaupt sah, wohin sie mähte ? "Macken" in ihrem Golfrasen wären äußerst fatal ...
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