Mit zunehmender Ungeduld schaute Enno zur Uhr. "Liebchen, ich möchte auch mal ankommen." Liebhild verließ ihren Sitz zum wiederholten Male und hastete ins Haus. "Hast Du noch etwas vergessen?" rief er hinter der Gattin her. Ihm war die Marotte Liebhilds bekannt. Sie nannte es Sicherheitsdenken. Dabei spielte es keine Rolle, ob das Haus nur für eine Stunde oder mehrwöchige Ferien verlassen wurde. Akribisch prüfte sie, ob sie alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen hatte. Mehrfach.
Ein von beiden langersehntes Wellness-Wochenende stand vor der Tür. Nach Jahrzehnten der erste Urlaub zu zweit, ohne ihre Jungs. Beide freuten sich sehr auf diese Zeit. Heini, Ordelheide senior und Emmi, seine Freundin, versicherten ihnen, sich um Haus, Hofladen und Garten zu kümmern. "Ihr könnt beruhigt fahren und ein paar geruhsame Tage genießen, wir passen auf. Außerdem sind Leo und Hippie auch noch da." Dachte sie an ihre Jungs, kamen leise Zweifel auf. Ihre Söhne Lars Enno junior und Hinnerk-Pieter waren mitten im Teenie-Alter. Die Hormone tobten bei beiden auf das Heftigste. Lars-Enno Ordelheide und sein jüngerer Bruder hatten das andere Geschlecht entdeckt und waren die meiste Zeit mit Mädels unterwegs. Zuverlässigkeit hatte Liebhild ihnen von Klein auf vermittelt; aber im Rausch der Hormone wurde manch` wichtige Sache schlichtweg vergessen. Liebhild besann sich auf den guten Tipp Hertaleins, der war Gold wert. "Macht Euch eine schöne Woche" wurden die beiden von sämtlichen Familienmitgliedern verabschiedet. "Können wir endlich?" fragte Enno leicht ungehalten, als sich Liebhild außer Atem neben ihn schwang. Zuversichtlich nickte sie und gab das Start-Signal: "Jetzt habe ich alles! Gib` Gummi!" "Herd, Kaffeemaschine, die Fenster ..." murmelte sie etwas leiser vor sich hin. Sie beugte sich nach hinten und kramte nach ihrer Tasche, um ihr Handy hervorzuholen. "Möchtest Du Emmi anrufen, ob alle Türen und Fenster geschlossen sind?" zog er Liebhild auf, als sie einen Kilometer zurückgelegt hatten. Er kannte ihren Kontrollzwang. "Nein, mein Lieber, nicht nötig. Alles im grünen Bereich", lächelte sie, während sie ihr Handy bediente. "Das beruhigt mich", freute sich Enno und schaltete in den vierten Gang. Der Van schnurrte trotz seines (höheren) Alters gleichmäßig über die Autobahn. Enno war zufrieden. Und die verzögerte Abfahrt vergessen.
"Du warst aber fleißig und hast Super-Fotos geschossen", lachte er. Liebhild war mit ihren Bildern beschäftigt, während Enno auf dem kleinen Balkon die untergehende Sonne mit ihren schillernden Farben genoß. "Was meinst Du, wie Leo, Hippie, Emmi und Heini beeindruckt sind, wenn sie diese Fotos sehen", alberte er in seinem Korbstuhl. "Und wie, die macht eben nicht jeder", ging Liebhild auf seinen flapsigen Ton ein. "Den Tipp habe ich von Hertalein. Sie schießt eben einzigartige Fotos." "So wie den Sonnenuntergang", foppte er Liebhild. "Lass` mich mal sehen." Intensiv begutachtete er die Aufnahmen. "Wunderbar, meine Liebe, wenn es mit dem Hofladen nicht mehr läuft, kannst Du Dich als Fotografin selbständig machen. Du bist ein wahres Naturtalent." Liebhild hatte eine ganze Fotoserie geschossen. Die besonderen Objekte waren haarscharf zu erkennen. Enno war beeindruckt. "Du hast alles meisterlich in Szene gesetzt", lachte er. "Ist doch ne tolle Idee", grinste Liebhild. "Sie läßt mich im Urlaub einfach gelassener sein. Wenn Zweifel hochkommen, gucke ich mir einfach die Bilder an", verteidigte Liebhild ihre Strategie. "und alles ist im grünen Bereich. So kann ich die Aus-Zeit richtig genießen!" "Tantchen ist schon clever", lobte Enno Tante Herta, die Patentante Liebhilds für ihren coolen Einfall. Liebhild hatte - vorsichtshalber - die Bedienleiste des Herdes, den Schalter der Kaffeemaschine, Tür- und Fenstergriffe mit ihrem Smartphone eingefangen ... 📷 👍
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