Vorbildliches Verhalten ist verbreiteter, als man allgemein annimmt. Das Bewusstsein dafür steigt stetig. Davon konnte ich mich neulich höchstpersönlich überzeugen.
"Es war ein toller Nachmittag", meinte ich zu meiner langjährigen Freundin beim Abschied. "Das nächste Mal bei uns", lachte ich und wollte gerade mein Auto besteigen, als wir von lautem Getöse abgelenkt wurden. Ein Motorrad bretterte die kleine Straße entlang und steuerte direkt auf uns zu. Tina und ich wechselten stumme Blicke. Das Motorrad war mit einem Seitenwägelchen ausgestattet. "Dass es in der Neuzeit noch so etwas gibt". Ich war perplex. Meine Freundin war ebenfalls fassungslos. Tina wohnte mit ihrer Familie ausgesprochen ländlich, die nähere Umgebung war sehr spärlich besiedelt. Die nächsten Nachbarn, Familie Ordelheide, waren Agrarier in der vierten Generation und bewirtschafteten die Felder am Ende des Weges. Außerdem hatten sie einen kleinen Hofladen, in dem sie mit Liebe und Leidenschaft eigene Produkte verkauften. Regelmäßig wurde der Hof an den Nachwuchs weitergegeben.
Mit quietschenden Reifen bremste das Motorrad schwungvoll auf der breiten Auffahrt nebenan. Der Motor wurde abgestellt und der Fahrer stieg lässig von seinem Sitz. Die beiden ganz in Leder gehüllten Personen kamen näher. Tina, sonst schlagfertig und immer einen coolen Spruch auf den Lippen, stand wie erstarrt, als die kleinere der beiden Personen auf sie zukam und den Helm abzog. Die andere Person hatte offensichtlich Mühe, sich aus dem engen, kleinen Seitenwagen zu befreien. Sie zerrte und zog. Endlich konnte sie sich aus der Enge herausquetschen. Um nicht loszulachen, wandte ich mich kurz ab und blickte zum Horizont. Ob das Wetter hielt? Ganz zaghaft zeigten sie kleine Wölkchen, die sich zu größeren Gebilden zusammenzuballen schienen ...
"Da staunst Du, nicht?" Die Frau fuhr sich lässig durch den silbergrauen Kurzhaarschopf. "Liebhild" konnte Tina nur stottern. Sie war bass erstaunt. "Wollt Ihr uns nicht zu unserer neuesten Errungenschaft gratulieren?" Jetzt zeigte sich auch die größere Person. "Damit hättet Ihr nicht gerecht, nicht wahr? Und ich als Sozius !" Enno Ordelheide lachte laut auf und tippte sich dabei auf die Brust. "Ich sehe Aufklärungsbedarf", schmunzelte er, als er unsere irritierten Blicke auffing. "Eine Idee von meiner besseren Hälfte", mit diesen Worten gab er seiner Liebhild einen sanften, kameradschaftlichen Stups. "Wenn sie Spaß daran hat, warum nicht. Außerdem finde ich es herrlich, mich auch mal kutschieren zu lassen. Hildchen liebt alles, was Räder hat. Als wir uns kennenlernten, hat sie sich als erstes nach dem Traktor und einem Aufsitzmäher erkundigt". Liebhild strahlte in die Runde.
"Sagt mal, wolltet Ihr nicht umweltbewusster fahren? Ich erinnere mich an Euer Tandem", meinte sich Tina zu erinnern. "Ja klar, wollten wir auch, aber seit unsere Jungs das entdeckt haben, waren wir das Fahrrad los. Jetzt düsen Bernd-Ullrich und seine Zukünftige damit durch die Gegend". Liebhild grinste und tippte sich an die Stirn: "und da ich ja keine kleine Doofe bin, kam ich auf die Idee mit dem Motorrad". "Außerdem ist es immer noch umwelt schonender als meine alte Spritschleuder. Ich fuhr bis vor kurzem einen uralten Bulli", erklärte Enno in meine Richtung. "Verstehe ich gut", stimmte ich zu. "Auch kann ich Opa Heini, meinen Vater, damit zu seinen Arztterminen kutschieren" "Opa Heini ist Frischluftfanatiker", ergänzte Liebhild lachend. "Im Seitenwagen ist er sicherer untergebracht als auf dem Tandem", meinte Enno schmunzelnd im Hinblick auf Alter seines Vaters. "Unterschätz` Deinen alten Herrn nicht", gab Liebhild lachend zu bedenken "wenn er erst auf den Geschmack kommt und mit seiner Emmi die Gegend unsicher macht. Emmi ist Schwiegerpapas langjährige Bekannte", klärte mich Liebhild auf.
"Herr Ordelheide senior ist noch ein ganz flotter Bursche", nickte Tina schmunzelnd "mit seinen 83 ..." Lautlos hatte sich Ordelheide Senior zu uns gesellt und grinste. "Ach was", winkte er lässig ab, "wenn gar nichts mehr geht, nehme ich ein Dreirad mit Stützrädern ..." "Und Emmi ?" fragte Liebhild erstaunt. "Ganz einfach, sie läuft nebenher ..."
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