Betrachtet man sie rein grammatikalisch: der begleitende Artikel deutet die Weiblichkeit an.
D I E Weiblichkeit ... und doch ... ein spezielles Erlebnis meldete erhebliche Zweifel bei mir an.
"Du, guck mal, da vorn. Das ist doch der "olle" Reiter !" machte mich meine Mutter aufmerksam und zeigte nach vorn. Dieser, ein Herr in den besten Jahren (zwischen 51 und 67 ...) ragte wohltuend aus der äußerst leger gekleideten Männerliga in der City hervor. Er machte einen sehr gepflegten Eindruck und war adäquat gekleidet. "Er ist der Chef von Lederwaren "Reiter" ", griente sie. "Ah so". Gern ließ ich mich aufklären, da mir nicht alle Besitz-Verhältnisse der vielen Geschäfte in unserer Stadt geläufig waren. Reiter existierte bereits seit mehreren Generationen. Es war ein kleines, vornehmes Inhaber-geführtes Fachgeschäft im Zentrum der Altstadt, in der sich feine Boutiquen und edle Modegeschäfte angesiedelt hatten. Zielsicher lief er einige Meter vor uns auf das große Modehaus mit dem gehobenen Angebot zu. Zu meiner Verwunderung ließ er den gläsernen, eindrucksvollen Eingang links liegen. Während wir vor den langen Schaufenstern entlang schlenderten, um uns einen Überblick über die neueste Kollektion zu verschaffen, hatte Herr R. sein Ziel erreicht. Vor einem langen, schmalen Spiegel zwischen Schaufensterfronten und dem direkt daneben liegenden noblen Café stoppte er. Ich stieß meine Mutter an und deutete mit dem Kopf Richtung Herr R..In einer Art Garderobenspiegel konnte sich gerade eine Person betrachten. Offensichtlich konnte sich Herr Reiter von seinem Spiegelbild nicht losreißen. Er bemerkte keineswegs, dass wir ihn, nur wenige Meter entfernt, beobachteten. Dieser ca. 1.80 große schlanke Herr war ganz in dezentes Grau gekleidet. Zu seiner Edeljeans trug er einen Kaschmirpullover. Eine kleine farbliche Auflockerung bildete der feine, blau-weiß gestreifte Hemdkragen. Schwarze Lederslipper mit Flechtmuster komplettierten den seriösen Eindruck. Ergötzte er sich an seiner Erscheinung oder eher nicht ? War da etwa ein Hauch von Kritik in seinem skeptischen Blick ?
"Jetzt ist die Frisur dran", wisperte meine Mutter und riskierte meinen spontanen Lachanfall. Tatsächlich, nun widmete er sich intensiv seiner Tolle, einer spärlichen Haarpracht in verblichenem Aschblond. Mit Zeige- und Mittelfinger schob er zwei Strähnchen über der Stirn zurück und unternahm angestrengte Versuche, sie gleichzeitig in die Höhe zu puschen. Vermutlich sollten sie die dahinter liegende Glatze geschickt verdecken. Wir wechselten stumme, grinsende Blicke. Das dauerte ... Noch einmal legte er einen Finger an eine der dünnen Flusen. Er gab ihr einen energischen Schubs aufwärts und verschaffte sich danach einen Überblick über den gesamten Mann. Endlich. Herr Reiter machte Anstalten, sich von seinem Spiegelbild zu lösen, nicht bevor er einen aller-allerletzten Blick auf sein Outfit geworfen hatte. Es wurde allerhöchste Zeit. Ich hatte Kaffeedurst. "Leider kann ich nicht mit einer Dose Haarspray im Reiseformat aushelfen", kicherte ich, während meine Mutter spontan in mein Lachen einfiel. Nach diesem Erlebnis hatten wir unsere Kaffeezeit mehr als verdient und stießen mit dem "heißen Braunen" auf unser Amüsement an, welches wir einzig dem "ollen Reiter" zu verdanken hatten. Stets in der bangen Hoffnung, dass seine Frisur hielt ...
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