"Guck`mal da drüben", machte mich meine Kollegin Ilona leise aufmerksam. Sie deutete auf zwei Sitzreihen weiter vor uns. Schräg gegenüber saß ein Mann allein auf einem Zweier-Platz. Wir waren auf der Fahrt zu unserer Einrichtung und hatten uns zufällig im gleichen Zug getroffen. Natürlich setzten wir uns zusammen; denn wir beide hatten immer jede Menge Gesprächsstoff. Auch am frühen Morgen.
Der einzelne Mann in den fünfzigern hatte augenscheinlich Durst. Lässig setzte er sich eine Flasche an die Kehle und schluckte und schluckte ... Gezählt habe ich die Schlucke nicht - aber meinem Gefühl nach zu urteilen, musste er die Flasche mindestens bis zur Hälfte geleert haben. Meine Blicke wanderten hin und her. Zu dem Fahrgast und wieder zurück zu meiner Kollegin. Sie rollte mit den Augen und grinste nur.
Er trank - ein Fläschen Piccolo ... und ich bekam einen Heidenschreck. Dabei dachte ich an den Magen des Unbekannten. Sollte ihm das "Prickelwässerchen" so früh am Morgen bekommen? Mein automatischer Blick zur Uhrzeit zeigte 6.23 h ... Aber vielleicht hatte er schon eine "Unterlage" zu sich genommen und im Speisewagen ausgiebig gefrühstückt, beruhigte ich mich. Möglicherweise war sein Magen sehr robust. Diese Vorstellung hatte etwas Tröstliches. "Der Aufschnitt war zu scharf ..." unkte Ilona unvermittelt meine Gedanken. Lachend nickte ich.
Man glaubt ja nicht, was eine einzige Situation auslösen kann. Unser Gesprächsthema am frühen Morgen war eindeutig. Die Stirn meiner Kollegin kräuselte sich zusehens, ein sicheres Zeichen für Ihr Denken. Und richtig. "Du weißt nicht, was er beruflich treibt ..." gab sie zu bedenken. " Meinst Du er kann seine Tätigkeit nur in betäubtem Zustand ertragen?" fragte ich sie grinsend. "Wer weiß, wer weiß ... denk` an uns ... ". Wir hatten unser (berufliches) Dasein dem Öffentlichen Dienst geweiht ... Was tut Frau nicht alles für Bürgerinnen und Bürger des Landes ...
Dank des "Piccolinos" hatten wir eine erheiternde Zugfahrt und stürzten uns dann später mit Feuereifer in unsere Dienstgeschäfte. Formulare, die uns im Minutentakt übefluteten und damit verbundene Deadlines rangen uns nur ein müdes Lächeln ab ...
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